Mittwoch, 9. Oktober 2013

{Frauenpower} Die potente Schwangere

Ich bereite mich ja gerade auf meine finale Uni-Prüfung vor :-O Ihr dürft netterweise dabei sein ;-) und zwar möchte ich euch gerne von einem Werk meiner Lieblingskünstlerin Louise Bourgeois erzählen. Dies soll definitiv kein Kunstblog werden, aber für alle feministisch orientierten Leser*innen könnte es interessant sein.
 
Louise Bourgeois ist eine französische Künstlerin, die erst so richtig berühmt wurde, als ihre Kinder aus dem Haus und der Ehemann verstorben waren. Sie hat ein unglaublich vielschichtiges OEvre erschaffen, das viel mit "frauenspezifischen" Erfahrungen und Gesellschaftskritik zu tun hat (dies nur verkürzt gesagt). Oft wird sie als "Mutter der feministischen Kunst" bezeichnet. Wieso, wird schnell klar, wenn man sich ihre Werke anschaut.
 
Mit 27 Jahren ging sie mit ihrem Ehemann zusammen nach New York. Dort lebte sie als Hausfrau und Mutter. Während dieser Zeit schuf sie eine Serie an Grafiken namens Femme Maisons. Sie zeigen Frauen, die ab dem Oberkörper in Häusern verschwinden. Ihr Kopf, ikonografisch der Sitz der Persönlichkeit, scheint völlig vom Haus verschluckt zu werden:
 
 

Pregnant Woman

Ab 1945 beginnt sie, Skulpturen aus Fundholz herzustellen, das sie nach Kriegsende in den New Yorker Straßen aufsammelt. Sie entscheidet sich für Holz, weil es ein "sauberes" und "leises" Material ist, das sich gut mit ihrem Familienleben vereinbaren lässt. Während sie tagsüber ihren Mutterpflichten nachgeht, hobelt und schmirgelt sie nachts in ihrem Atelier. In den ersten Jahren (bis 1950) entsteht eine Reihe an Figuren, die sie Personnages tauft und die durch Objekte von Naturvölkern inspiriert sind. Der überwiegende Teil dieser Werkgruppe zeigt weibliche Figuren, so zum Beispiel Depression Woman, Paddle Woman, Needle Woman, Spiral Woman und meine Lieblingsfigur, die Pregnant Woman:
 
 
Das Besondere an Pregnant Woman ist, dass sie eine ganz untypische
Schwangerschafts-Figur ist. Nicht nur für die damalige Zeit, sondern verglichen mit dem gesamten westlichen Kunstkanon bis in die 1960er hinein.
 

Schmerzen und Verunsicherung


Schwangerschaft wurde seit der Antike entweder gar nicht (Schwangerschaft galt lange als "unreiner" Zustand), oder aber als Idealzustand der Frau, als etwas heiliges oder mystisches überhöht und künstlerisch dargestellt. Diese Aspekte haben durchaus ihren Wert, nur wurden eben andere Elemente einer Schwanger- oder auch Mutterschaft so gut wie gar nicht thematisiert. Zum Beispiel Angst, Verantwortungsdruck, Verunsicherung durch eine neue Rolle, Verletzung körperlicher Grenzen, Schmerzen, Identitätskrisen usw. Kein Wunder, schließlich waren es bis ins 19. Jahrhundert hinein hauptsächlich Männer, die sich künstlerisch verwirklichen konnten. Und die haben solche Aspekte in ihren Werken bewusst oder unbewusst nicht reflektiert und somit zur Aufrechterhaltung eines Weiblichkeitsmythos beigetragen, der da lautet "Die ewig gute Mutter", "Die passiv aufnehmende Frau" oder "Die heilige Schwangere".
 
Pregnant Woman macht nicht mit bei diesen Weiblichkeitsbildern. Ihre Figur stellt eine Schwangere dar, stark abstrahiert, die weder Arme noch Füße hat und so wirkt, als könne sie jeden Moment hinfallen. Nichts mit erhabener, heiliger Schwangerschaft also, diese Frau hier ist recht unsicher und hilflos unterwegs. Der Bauch selbst ist als einziges Element der Figur aus Gips angefertigt. Er ist auch nicht glatt, sondern sieht rissig und rau aus, was die eine oder andere beim Betrachten zu einem irritierten "Iiiih, das ist ja eklig" verleitet ;) Zusätzlich ist er auch noch überzogen mit roten und gelben Sprenkeln, die an Körperflüssigkeiten wie Blut erinnern. Hier klingen schon die Geburtsverletzungen an. Bourgeois macht klar, dass Schwangerschaft für sie belastende und verstörende Aspekte besitzt.
Das finde ich super! Denn diese Dinge sind da, sie werden nur nicht gern angesprochen, auch heute nicht. Wenn Frau sich mit Ängsten während der Schwangerschaft herumschlägt, dann heißt es oft Ach, das ist doch das natürlichste der Welt, glücklich und stolz musst du sein! Ja, aber ich denke, es ist auch wichtig, den anderen Seiten Raum und Gehör zu schenken. Sie sind da und sie sind ebenso normal wie der Stolz auf den runden Bauch. So ist es in unserer westlichen Welt ja generell: wir preisen die idealen Körper, die ewige Jugend und die gute Laune - alles, was da nicht hinein passt (Tod, Krankheit, Alter, Trauer usw.), wird gerne tabuisiert.
 

Kraft, Stärke und Aktivität

 
Schwangerschaft wurde auch seit jeher als passiver Zustand dargestellt. Das geht auf Aristoteles zurück, der die Frau als "aufnehmendes Gefäß" bezeichnet, die ihren Daseinszweck im Warten auf den aktiven männlichen Samen erfüllt. Ihre "Natur" wird ganz und gar passiv gehalten.
Auch bei Gemälden der Geburt, wenn es welche gibt, wird meistens keine angestrengte Frau gezeigt, sondern eine passiv daliegende, während der (männliche) Arzt im Fokus steht, der die ganze Arbeit zu übernehmen scheint. Oft sieht man, wie seine starken Hände das Kind auf die Welt "heben".
 
 
Otto Dix: Geburtsszene II, 1928
 
 
Bei Pregnant Woman wird auch dieses Bild durchkreuzt. Der Oberkörper der Schwangeren besteht aus einem einzigen länglichen Holzteil, das gestrafft und gespannt aussieht. Manchen geht es sofort auf: Das sieht einem Phallus ähnlich! Und der Bauch lässt sich unter diesem Blickwinkel betrachtet als Hoden erkennen. Was hat ein erigierter Penis in einer Figur zu suchen, die Pregnant Woman heißt?! Nunja, das ist Bourgeois' besonderes i-Tüpfelchen :) Der Phallus ist ikonographisch betrachtet DAS Symbol für geschlechtsstereotyp männliche Eigenschaften wie Aktivität, Stärke, Dynamik, Kraft usw. Indem Bourgeois ihrer Schwangeren nun einen Penis aufsetzt, sagt sie damit: Eine Schwangere hat mehr Penis als wir denken! Sie mobilisiert während 9 Monaten und der Geburt all das, was wir fälschlicherweise nur dem Mann zusprechen! Gebt den weiblichen Erfahrungen den "Penis" zurück, der ihnen zusteht!
Später, ab der Frauenbewegung der 1970er Jahre haben sich viele Künstlerinnen getraut, was Bourgeois schon recht früh tat. Sie haben die Geburt in ihren realistischen Aspekten gemalt und viele andere weibliche Erfahrungsräume offen gelegt mit all ihren bisher mystifizierten Ecken und Kanten.
 
Ich danke dir, Louise, für das Sichtbarmachen von bisher Unsichtbarem!

 

4 Kommentare:

  1. Hallo. Das ist sehr interessant, danke für die ausführliche Erläuterung. :)
    Louise Bourgeois fand ich schon erstaunlich, als ich vor einiger Zeit eine Ausstellung über ihr Werk besucht hatte, aber diese theoretischen Erläuterungen sind mir so auch neu, sehr schön.

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  2. Liebe Maren,
    super Beitrag, ich kannte die Dame nicht, von daher habe ich jetzt wieder viel dazu gelernt ;-)
    Und das Thema passt auch mit meinem derzeitigen Thema, das irgendwie immer wichtiger wird: die Frauen!
    Ich bin grad mitten im Prozess, das mal alles zu hinterfragen und dieser Artikel hat sein eigenes dazu beigetragen, danke dir!

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    1. Hey Sofia, ja, das Thema ist sehr spannend. Meine Examensprüfungen hab ich damals über geschlechtsspezifische Erziehung gehalten -seitdem sehe ich die Welt aus einem andere Blickwinkel und merke, wie sehr wir von den Vorstellungen bestimmt sind, was/ eine Frau ist und was/wie ein Mann. Oder auch unsere Sprache -was hab ich mich gewundert, was dort alles drin steckt an patriarchalen Strukturen! Später hab ich dann begonnen nach Gesellschaftsformen in der vorchristlichen Zeit zu suchen, die matriarchalen oder egalitären Mustern folgen. Das ist bis jetzt mein Lieblingsthema in Sachen Gender -es ist eben vielleicht doch nicht "immer schon so gewesen" :) Ich glaub, da muss ich doch auch mal nen Artikel zu schreiben....

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  3. Wow, ich finde es toll, dass auch mal diese Siete der Schwangerschaft gezeigt wird - und besonders bildnerisch. Die Umsetzung ist spannend und ich kann die Interpretation gut nachempfinden, denn "etwas" passiert mit dem eigenen Körper, den man bis dahin so gut kannt - er verändert sich, und man hat keinen Einfluss darauf - wenn dann das Wesen in einem (was man ja im prinzip noch nicht kennt) immer größer ist, bewohnt es diesen Raum - und der Bauch gehört manchmal nicht wirklich zu einem... Die Wahl eines anderen materials für den bauch finde ich daher besonders gelungen.

    Danke, dass du sie mit uns teilst - du darfst gerne mehr posten ;)

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