Sonntag, 23. Juni 2013

Von Lebensfreude und ganz persönlichen Sommerfrüchten

Wenn das Jahr  und die Sonne im Zenit stehen (rein astrologisch gesehen jedenfalls), finden in vielen Kulturkreisen Feste statt: Sommerfeste, um die warme Jahreszeit zu feiern, den längsten Tag, bevor es langsam, aber sicher, wieder Richtung Herbst geht. Die Pflanzen stehen in voller Blüte und die ersten Früchte können bereits geerntet werden. Die Natur zeigt sich von ihrer schönsten Seite. Doch was bedeutet das für mich als Städterin in einer modernen Welt? Welcher Anlass bietet sich für mich zu feiern, wenn ich das Säen und Ernten nicht direkt miterlebe und mir beim Blick in den regenverhangenen Himmel gar nicht nach feiern zumute ist?

Mittsommer ist eine hervorragende Gelegenheit, sich die Fülle im eigenen Leben bewusst zu machen. In der Natur mag dieses Jahr alles noch etwas hinterherhinken, aber in deinem Leben stecken jede Menge Sommerfrüchte, die herangewachsen sind, gesehen und genossen werden wollen. Wir vergessen nur manchmal, dass sie da sind, dass wir vieles, was wir brauchen, bereits um uns haben. Jeden Tag. Jetzt und hier.

Ich habe herausgefunden, dass Lebensfreude für mich ganz entscheidend mit Dankbarkeit zusammenhängt. Lange Zeit und auch heute noch habe ich oft "Mangel-Gedanken" im Kopf. Das sind so Sachen wie "Mein Partner ist nicht aufmerksam genug, mein Lebenslauf ist nicht überzeugend genug, ich war noch nie in Australien...Die Wohnung ist nicht groß genug, ich bin nicht hübsch, intelligent, stark genug usw." Kurz: Es ist alles noch nicht so, wie es sein sollte. Es ist nicht genug. Und solange kann ich auch nicht glücklich sein.
Wer es schafft, solche destruktiven Gedanken aufzuspüren, erschrickt, wie oft sie uns begleiten. Das ist auch kein Wunder. Wir leben in einer Gesellschaft, die auf ständiges Wachstum ausgerichtet ist. Alles soll immer besser und mehr werden. Vor allem der Umsatz der Unternehmen und damit einhergehend auch unser Kaufverhalten und die Anforderungen an den Arbeitnehmer. Die Liste der  Fähigkeiten, die der heutige Berufseinsteiger mitbringen soll, ist nicht nur lang, sondern auch utopisch. Und um diese Liste zu erreichen, arbeiten wir spätestens ab dem Grundschulalter an der Perfektionierung unserer Persönlichkeit. Die Gesellschaft sagt uns: Du bist nicht gut genug, so wie du bist. Du musst erst diesen und jenen Status erreichen, um von uns wertgeschätzt zu werden. Vor allem musst du erst dieses und jenes kaufen, um glücklich zu sein. Wer sich dieser Optimierungswut nicht anpasst, kriegt Probleme. Schlechte Noten, schiefe Blicke, Versagensängste, Minderwertigkeitskomplexe.

Dieser Hang zum Perfektionismus und stetigem Wachstum dehnt sich auf alle Lebensbereiche aus: Wir suchen den perfekten Partner, die nie erlöschende Leidenschaft, die ausgefallensten Hobbies, häufen Freunde in sozialen Netzwerken wie Trophäen an, werden von der Modeindustrie an jeder Straßenecke daran erinnert, dass wir noch nicht dünn und symmetrisch genug und unsere Kleider noch nicht schick genug sind, arbeiten in Jobs, in denen wir zwar keine Freude empfinden, die uns aber Aufstiegschancen und Gehaltserhöhungen versprechen usw.

Meine persönliche Antwort auf diese ständige Unzufriedenheit, ein mangelhaftes Leben zu führen, ist der tägliche Blick auf das Wesentliche und damit einhergehend Dankbarkeit für die Dinge, die ich hier und jetzt habe. Und wir haben meistens viel mehr als wir denken.

Folgende Übungen helfen mir dabei:

* Frage dich täglich, wofür du am heutigen Tag dankbar bist oder warst. Es sollten dir mindestens 3 Dinge einfallen. Das fällt vielen Menschen anfangs schwer. Doch du kannst dir Zeit nehmen und auch mit kleinen Dingen beginnen, wie, dass dir die Suppe in der Kantine gut geschmeckt hat oder dass dein Kollege heute freundlich gegrüßt hat. Vielleicht ist dir der Gesang eines Vogels aufgefallen, der dich für einen Moment zum Lächeln gebracht hat. Wir übersehen solche kleinen Dinge gerne, aber sie tragen zu unserem Wohlbefinden bei und ihnen gebührt Achtung. Macht man diese Übung regelmäßig, wird man schnell feststellen, dass einem immer mehr Dinge einfallen und dass man auch im Alltag mehr auf sie achtet. Dankbarkeit verstärkt sich selbst. Außerdem: wenn ich abends feststelle, dass ich mich über die frischen Paprika beim Gemüsehändler gefreut habe, nehme ich sie beim nächsten Einkauf viel bewusster wahr und erzeuge sofort in diesem Moment ein Gefühl von Dankbarkeit, nicht erst abends im Bett beim Tagesrückblick.

* Frage dich, was dir wirklich wichtig ist im Leben. Wem das schwer fällt oder wer hier anfängt, Luxusgüter aufzuzählen, kann zu einer radikalen, aber wirksamen Lösung greifen und sich seinen eigenen Tod vor Augen führen. Das ist zu krass? Verständlich, dass uns der Tod Angst macht, aber er gehört zum Leben dazu. Je länger wir ihn ignorieren, desto länger verbringen wir Zeit mit Dingen, die uns eigentlich gar nicht wichtig sind. Wir sitzen täglich in einem bunten, warmen Konsum-Wunderland und packen in Watte, dass wir alle nicht ewig hier bleiben können. Im Angesicht des Todes wird den meisten Menschen schnell bewusst, was sie wirklich brauchen. Niemand auf dem Sterbebett bereut es, damals nicht die teuren Schuhe gekauft oder das Auslandssemester gemacht zu haben. Es sind die für uns wesentlichen Dinge, über die wir uns nun bewusst werden. Dass wir Menschen nicht gesagt haben, dass wir sie lieben oder dass wir ihnen verziehen haben, dass wir keinen Sonnenuntergang gesehen oder unter freiem Himmel geschlafen haben.... Und schon alleine das Bewusstsein, dass wir ja am leben sind, gesund und fähig, zu genießen, ist dann ein starkes Gefühl der Dankbarkeit wert und kann uns zu der simpelsten und vielleicht auch intensivsten Form von Lebensfreude führen: Ich freue mich, dass ich leben darf. Es könnte genau so gut schon morgen vorbei sein.

Ich persönlich habe herausgefunden, dass ich tief dankbar dafür bin, schon recht früh den Weg der Naturreligionen für mich entdeckt zu haben, der mir die kleinen Wunder des Lebens vor Augen hält und mir meine Verbundenheit mit der Natur und allem Lebendigen bewusst gemacht hat. Daraus schöpfe ich jeden Tag. Außerdem bin ich dankbar dafür, einen Menschen gefunden zu haben, den ich lieben kann und der auch mich liebt wie ich bin. Die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert UND dass sich eine Partnerschaft entwickelt, die den Alltag und die Tiefen des Lebens aushält, ist alles andere als selbstverständlich. Daran versuche ich mich immer wieder zu erinnern, wenn sich ein Mangel-Gedanke einschleicht. Dass seine Familie anstrengend sein kann, dass er nicht all meine Interessen teilt, all das ist nicht mehr so wichtig. Ich darf jeden Tag in eine kleine, unperfekte Wohnung zurückkehren, in der ich meinen unperfekten Freund treffe. Wir führen keine Fernbeziehung mehr, wir sind beide nicht krank, wollen heiraten und Kinder kriegen. Wie das Abendprogramm dann aussieht, welchen Film wir uns anschauen oder welches Essen auf den Tisch kommt -typische Anlässe für tägliche Mangel-Gedanken- ist nicht mehr so wichtig. Dass wir nicht unseren Traumjob haben und auch kein Geld, im nächsten Urlaub auf die Seychellen zu fliegen, spielt keine große Rolle. Wir sitzen zusammen, lachen über unsere Unzulänglichkeiten und Missgeschicke des Tages, kommen zuhause und bei uns selbst an und sind dankbar für unsere nach langer Zeit wieder harmonische Beziehung. Natürlich gelingt uns das nicht immer und das ist auch ok. Doch dann lohnt es sich, wieder innezuhalten und nach unseren "Sommerfrüchten" zu schauen. Sie verkörpern alles, was uns das Leben bereits geschenkt hat und zeigen uns, wie wenig Grund wir wirklich haben, unzufrieden zu sein. Und so bleibt von diesem Mittsommer vor allem ein Gefühl zurück: Ich bin reich! Vielleicht nicht im herkömmlichen, aber gewiss im ganz persönlichen Sinne. Wenn das kein Grund zum Feiern ist?!

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