Donnerstag, 24. Januar 2013

Liebe deine Kleckse

Erinnert ihr euch noch an eure Kindheit und wie es war, zu malen, ohne an das Endergebnis, an Symmetrie und Proportionen zu denken? Ich erinnere mich noch sehr gut, ich habe ganze Stapel an Bildern gemalt. Und ich erinnere mich ebenso gut an das Ende dieser Phase. Es war bereits im Kindergarten. Ich war wie immer komplett versunken in meine Bilder und Farben, malte gerade ein Schiff auf dem Meer und vor allem Regentropfen, unendlich viele Regentropfen. Da beugte sich die etwas plumpe Kindergärtnerin über mein Bild und fing an zu lachen "Was soll das denn sein -das sieht ja aus wie Eier, die vom Himmel fallen! Das kannst du so nicht malen!" Ich weiß noch, dass ich mich geschämt und das Bild weggeworfen habe. Danach habe ich zwar weiter gemalt, aber nicht mehr so unbeschwert wie vorher. Davon abgesehen wurde mir im Kindergarten ein Mal-Verbot ausgesprochen, da ich nach Ansicht der Betreuerinnen zu oft da saß und fliegende Eier malte ;-)

Während meiner Schulzeit erwarb ich dann endgültig das Selbstbild Ich kann nicht malen. Und im konventionellen Sinne stimmt das womöglich auch. Ich habe wirklich kein gutes Gespür für Proportionen und Symmetrie und all den anderen klassischen Prinzipien, die mir in meiner naturwissenschaftlich ausgerichteten Schule als Maßstab für schöne Kunst beigebracht wurden. Als es dann später um  moderne Kunst ging, die mir vermutlich viel mehr gelegen hätte, war ich schon so blockiert, dass "Kunst" für mich zu einem toten Schulfach geworden war, dem ich nichts mehr abgewinnen konnte. Erst später regten mich ein paar Freundinnen wieder zum kreativen Werkeln an. In meinem Kopf verhinderten das aber zuverlässige Stimmen, die mir davon abrieten, Leinwände und Pinsel zu kaufen und wenn, dann informier dich vorher erst mal ganz genau, kauf dir besser erst mal eine Anleitung! Also unternahm ich vorsichtige, teils sehr anstrengende und langwierige Versuche mit Malbuch und Zeichenschule. Leider war das Ergebnis nie zufriedenstellend und ich bin ein ungeduldiger Mensch, daher gab ich es wieder auf.

Irgendwann habe ich dann das Buch Point Zero - entfesselte Kreativität. Frei und schöpferisch leben. von Michele Cassou entdeckt.

 Bildquelle

Anhand einer Methode der Selbstbefragung zeigt es, wie es möglich ist, sich von alten Blockaden zu lösen und zum Point Zero zu gelangen -einem Stadium, in dem wieder so gemalt und gewerkelt werden kann, wie es vielleicht zuletzt in der Kindheit möglich war. Voraussetzung für diesen Prozess ist es laut Cassou, alleine aus dem Wunsch nach Kreativität heraus schöpferisch zu sein, nicht mit einem bestimmten Ziel und ohne konventionelle Urteilsschemata im Kopf. Hierfür ist keine Vorerfahrung, kein Können und keine Begabung nötig. Juhu!


Ich möchte den Interessierten unter euch die Methode kurz vorstellen. Um wieder befreit und spielerisch den Pinsel schwingen zu können, müssen wir nach Cassou sehr mutig sein und mit drei bösen "Drachen" kämpfen, die sie Ergebnis-, Bedeutungs- und Kontrolldrachen nennt. Der Ergebnisdrachen will kurz zusammen gefasst immer ein Ergebnis, ein Ziel vor Augen haben. Der Bedeutungsdrachen findet, dass alles, was wir malen, auch eine Bedeutung und einen Sinn haben sollte. Der Kontrolldrachen will den Malprozess in jedem Schritt kontrollieren und hat Angst vor Unbekanntem, Neuem. An diesen Dreien müssen wir laut Cassou vorbei, wenn wir  intuitiv malen wollen. Dazu gibt sie einige Fragen an die Hand, die wir uns selbst stellen können, wenn wir nicht weiter kommen oder die Lust verlieren. In solchen Momenten steht meist einer dieser Drachen hinter uns und fordert sein Recht. Mithilfe der Fragen können wir ihn identifizieren und wieder wegschicken. Und viel mehr ist es auch gar nicht, was wir laut Cassou brauchen. Am Ende steht der Nullpunkt, an dem wir befreit von Vorurteilen, inneren und äußeren Erwartungen, Ängsten, Lustlosigkeit und Gewohnheiten malen können. Sich selbst die richtigen Fragen zu stellen ist allerdings nicht immer so leicht. Daher ist der größte Teil des Buches auf eben diese Fragen hin ausgerichtet. Cassou erzählt von ihren Malschülern und deren individuellen Blockaden, die sie gemeinsam mit den richtigen Fragen auflösen konnten. Ein Beispiel:

"Wenn Sie zum Beispiel denken: "Warum überhaupt malen? Es wird sowieso keinem gefallen!", dann könnten Sie fragen: "Was, wenn es völlig egal wäre, ob irgendjemand meine Bilder mag?" oder: "Was, wenn niemand je meine Bilder ansehen wird? Was würde ich dann malen?" "

Auch, wenn das Buch an manchen Stellen zu viel wiederholt und Cassou den Malprozess für meinen Geschmack zu stark mit einer esoterischen Ebene verbindet (nicht für jeden ist Kreativität ein spiritueller Akt), hat es mir dennoch sehr viel gegeben. Ich habe durch ihre Fragetechnik gelernt, übernommene und überholte Erwartungen und Vorstellungen aufzulösen und wieder ganz für mich alleine zu malen. Mittlerweile füllt sich meine Wohnung auch wieder mit beklecksten Leinwänden. Sie sind voller Dinge, über die ich mich jedes Mal wundere, wenn ich sie sehe. Ich frage mich oft: Woher ist denn das nun wieder gekommen? Ich wusste ja gar nicht, dass solche Bilder in mir stecken! Ich vermute manchmal mein Unterbewusstsein dahinter, das alles mögliche mit sich rumträgt und auf der Leinwand dann ein Ventil findet. Ähnlich wie Tag- und Nacht-Träume. Ich zeige die Bilder niemandem, denn dafür sind sie nicht entstanden. Ich habe einfach nur mein Hobby wiedergefunden, das mir heute genau so viel Spaß macht wie zu Kindergartenzeiten.


Einerseits traurig, dass es bei manchen eines Buches bedarf, um wieder gerne zu malen. Andererseits schön, dass es solche Ansätze und Hilfestellungen für die Kopflastigen unter uns gibt. Wenn ich heute male, ist es vermutlich kein Wunder, dass auf meinen Bildern ein Motiv immer wieder auftaucht: Tropfen, Tropfen und nochmals Tropfen in verschiedenen Farben und Größen ;-)

1 Kommentar:

  1. Das hört sich nach einem interessanten Buch an, danke für den Tipp! Bin zwar schon wegen Zeitmangel an "Der Weg des Künstlers" gescheitert, aber es ist einen Versuch wert...

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