Freitag, 1. August 2014

Schweden Tag Drei

Als wir am nächsten Morgen aufwachen, sind unsere Schweden schon dabei, ihre Zelte abzubrechen und ihre Motorräder zu satteln. Wir leisten noch kurz Starthilfe bei einem der Maschinen, die mit einer leeren Batterie festsaß. Dankbar verabschiedeten sie sich: We don't know what we would have done without you. That is an absolutely lonesome place. With us five people hanging around it was the most crowded lake in whole Sweden!
 
Mit Erinnerungen an gesellige Stunden im Gepäck machen auch wir uns auf den Weg. Einfach mal ein bisschen weiterfahren heißt unsere Devise für heute, vielleicht finden wir ja noch so einen schönen Platz... Und tatsächlich, wenig später landen wir an einem der zahlreichen Naturreservate in Schweden. Hier wird traditionelle Landwirtschaft aufrecht erhalten, wie sie im Schweden des 19. Jahrhunderts noch existierte: traditionelle Holzzäune, alte Rinderrassen, Steinriegel und sog. Lesesteinhaufen, zu Haufen aufgetürmte Steine unterschiedlicher Größe, die bei der Feldarbeit störten und von den Bauern aufgelesen wurden.
 
Als wir mit dem Bulli ein kleines Stück hineinfahren, parkt ein Auto die Durchfahrt zu. Sofort tauchen ein paar ältere Herrschaften auf. Ich befürchte schon, dass es jetzt Ärger gibt. Mit einem lauten Benziner in ein Naturreservat, das kann nicht erlaubt sein. Aber nein, sie kommen freudig auf uns zu und sprechen uns in gebrochenem Deutsch an: Einen Moment bitte, wir parken schnell um!, Ihr habt einen Hippie-Bus, wie schön! Lachen, Begeisterung, Freundliches Nicken. Kurze Zeit später befinden wir uns inmitten einer Gruppe Alt-68er, die unseren Bus bewundern, interessierte Fragen stellen und ins Schwärmen kommen. Woher könnt ihr alle so gut Deutsch? wundern wir uns. Sie erklären, dass sie zu Schulzeiten -das ist aber eine gaaaanz laaaange Zeit her, hihihihi- Deutsch lernen mussten und seitdem könnten sie das eben einfach gut.
 
Spontan laden sie uns ein, ihre Honigbienen zu besuchen. Wir sind mitten in einem Treffen von Bienenzüchtern gelandet, die sich gegenseitig über ihre aussterbende Arbeit am Laufenden halten. Heute besuchen sie Nicklas, den Bienenzüchter des Naturreservats, in dem wir gelandet sind. Nicklas sieht aus wie Pettersson, die großväterliche Figur aus dem Kinderbuch Pettersson und Findus. Er nimmt uns mit zu seinen Bienenstöcken auf einem kleinen Hügel. Nicklas' Bienen haben es hier echt gut. Sie leben ganz friedlich, abgeschottet von jeder menschlichen Gefahrenquelle. An ihrem Platz haben sie alles, was sie brauchen: Genug Wärme, kaum Wind, seltene Pflanzen, die sie lecker finden und Schutz vor Regen. Wir kriegen einen Exklusivvortrag über alles, was ein Bienenzüchter wissen muss und am Ende öffnet Nicklas dann auch seine Bienenkästen für uns. Hui, ich habe Angst vor Bienen. Doch ich will mir durch die Angst nicht die Chance nehmen lassen auf so eine einmalige Gelegenheit. Und ein bisschen neugierig bin ich natürlich auch, wie es wohl ist, so einen echten Bienenstock zu sehen, nicht hinter Glas wie im Museum, sondern ganz nah, in freier Natur.
 
Es ist faszinierend und beunruhigend zugleich. Alles schwirrt, surrt und krabbelt. Aber Nicklas kennt seine Bienen gut, es ist eine friedliebende Art, und er hantiert mit ruhigen, großen Händen zwischen den vielen Tierchen herum. Wir sehen die einzelnen Honigwaben und erfahren, wie so ein Bienenvolk funktioniert. Zum Beispiel besteht es ausschließlich aus weiblichen Bienen. Die männlichen Drohnen treten nur zur Paarungszeit auf und sterben kurz nach dem Geschlechtsakt mit einer Königin. Sie sind nur für die Zeugung wichtig. Alles andere erledigt die Königin und ihre Arbeiterinnen. Ein großes Matriarchat sozusagen. Als wir uns verabschieden, scherzt Nicklas: Jetzt könnt ihr zuhause in Hamburg eine Bienenzucht beginnen! - Wieso eigentlich nicht? denken wir.
 
 
Später am Tag erreichen wir einen See mit Sandstrand. Hier bleiben wir, lesen, schlafen und lauschen in die Stille. Ich merke, dass ich die Geräusche vermisse. Habe ich den Lärm der Stadt noch vor wenigen Tagen verteufelt, fehlen mir jetzt die Stimmen der Menschen, zumindest der Tiere oder Bäume im Wind. Die Stille wird mir an diesem See immer bewusster, fast schreit sie mich an. Vielleicht, weil auch wir beide kaum noch miteinander reden und wenn doch, dann nur flüsternd. Wir tun das ganz automatisch, ohne darüber nachzudenken. Es ist, als würden wir uns der Umwelt um uns herum anpassen, ein Teil von ihr werden: lautlos und tiefenentspannt. Vielleicht geht es den Tieren hier genau so. 
 



Abends macht der Mann ein Feuer. Vor allem um die Mücken zu vertreiben. Zwar noch axtlos, aber doch sehr männlich ;) Es brennt, es knistert, es raucht und glüht. Wir sitzen davor und lassen uns von den Flammen hypnotisieren. Persönliche und gemeinsame Lebensträume werden beflüstert, Wege zu neuen Zielen ersonnen, Sehnsüchte heraufbeschworen. Wieder ein Sonnenuntergang. Wieder eine Nacht voller Sterne. Wäre da nicht diese laute Stille, wir könnten ewig bleiben.
 
 



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