Donnerstag, 31. Juli 2014

Schweden Tag Zwei

Am zweiten Tag im Land der blaugelben Fahnen kommen wir an einer großen Schlucht vorbei. Wir beobachten, wie Jugendliche mutig von hohen Felsen ins Wasser springen. Überall liegen schwedische Sonnenanbeter ausgestreckt auf Steinplatten und bräunen ihre empfindliche Haut. Fast südländisch kommt es uns hier vor. Aber wir bleiben nicht lange. Es zieht uns Richtung Norden, ins Innere des Landes.
 
Die Straßen sind breit und leer, umrandet von saftig grünem Wald und Wiesen. Wer einmal die Verfilmung des Romans Ronja Räubertochter gesehen hat, kann sich vorstellen, wie unsere Umgebung aussah. Und tatsächlich befinden wir uns plötzlich in Småland, der Provinz, in der Astrid Lindgren aufwuchs und in der sie viele ihrer Bücher spielen ließ.



Småland ist ein wunderschöner Landstrich in Schweden. Überall stehen rote Holzhäuser im Wald, zwischendurch rustikale Blockhütten und immer wieder Seen, einsame, große Seen. Dort ist es so ruhig, wie man es sich in Deutschland einfach nicht vorstellen kann. Das ist anfangs richtig irritierend, denn wirkliche Stille ist man als westdeutscher Städter nicht gewöhnt. Ich meine Stille, in der sogar Tiere schweigen. Also hört man absolut Nichts. Das Wasser schweigt, der Wind schweigt, es gibt keine Menschen weit und breit. Nichts.


In der Landschaft liegen überall, wie hingeworfen, Findlinge aus der Eiszeit. Die Böden sind mit Moos und hohem Gras bewachsen. Zwischendrin tummeln sich honigfarbene Kühe oder Pferde. Bis auf die Zäune irgendwo um sie herum haben sie das große Los gezogen. Stress ist noch nie so fern gewesen wie hier.


Irgendwann erreichen wir einen See, an dem wir bleiben wollen. Ein Holzsteg führt ins Wasser und ein Bot liegt am Ufer. Jemand hat eine Feuerstelle errichtet und Baumstämme als Sitzgelegenheiten um sie herum drapiert. Es ist einfach, rustikal und wild romantisch. Aber dürfen wir hier bleiben? Nirgendwo ein Schild, geschweige denn ein Zaun. Und doch ist das hier offensichtlich kein verlassener Ort. Wir entscheiden uns erst einmal baden zu gehen und dann - mal schau'n....

Im See wachsen weiße Seerosen. Doch das Wasser sieht plötzlich rötlich aus und unsere Füße ertasten sumpfigen Boden. Für viele ein Grund, schnell wieder an Land zu gehen, und auch uns ist es mulmig zumute. Aber Matsch ist auch ein Teil der Natur, sagen wir uns, und die rötliche Färbung kommt wahrscheinlich vom hohen Eisengehalt. Nachdem wir unsere diffusen Sorgen vor Unbekanntem erst einmal vertrieben haben, schwimmt es sich in unserem See genau so gut wie in kristallklarem Gewässer. Als wir uns wieder auf den Steg ziehen, sind wir ein bisschen stolz, unsere unbegründeten Ängste besiegt und etwas Schönes erlebt zu haben. 
 
Gerade als wir die Ruhe so richtig genießen, kommt eine Gruppe Motorradfahrer an unserem einsamen Fleckchen Erde vorbei. Schon wieder kommen diffuse Ängste auf: Oh nein, Biker... Bestimmt wollen die bleiben und sind unangenehm, laut und vulgär. Flüsternd planen wir schon unseren Abgang, da kommt einer der Jungs zu uns. Er grüßt freundlich, fragt höflich, ob wir etwas gegen ihre Gesellschaft hätten und ob wir uns später zu einem Barbecue gesellen wollen. Verblüfft und besänftigt sagen wir zu.
  

Die drei schwedischen Biker erklären uns später am Feuer, dass wir durchaus an diesem Ort bleiben dürfen. Jedermannsrecht nennt sich das in Schweden: Jeder hat ein Anrecht darauf, die Wildnis zu nutzen. Es darf gezeltet und Feuer gemacht werden, solange man alles so hinterlässt, wie man es vorgefunden hat. Dieses Recht schließt auch Privateigentum in der Wildnis ein, sagen sie. Man muss nur nach 24 Stunden wieder weg sein und darf nicht in Sichtweite eines Hauses kampieren. Traumhafte Bedingungen, die man sich in Deutschland natürlich gar nicht vorstellen kann.
 
Ein Meer an hellen Sternen steht über uns, während hinter unserem Rücken der See sanft ans Ufer brandet. Einer der Jungs hat seine Axt ausgepackt -angeblich führt jeder richtige Mann in Schweden eine mit sich. Er trägt eifrig Holz aus dem Wald heran, damit die Flammen genügend Nahrung haben. Es ist kühl geworden und die Wärme des Feuers kommt mir gerade recht. Ich fühle mich wie in einem meiner Kinderbücher über das Leben in der Bronzezeit. Bilder von Feuerstellen tauchen aus der Erinnerung auf, Frauen mit Jutekleidern und Schmuck aus rötlichem Metall, geflochtene Körbe und Männer, die erlegtes Wild über der Schulter tragen. 


 Die Schweden sind so aufgeschlossen und kommunikativ, dass wir staunen. Wir dachten, je höher es in den Norden geht, desto verschlossener seien die Menschen? Noch so ein blödes Vorurteil. Als die Glut weit nach Mitternacht erlischt, löst es sich in nichts als kaltem Rauch auf, und unser Gelächter hallt noch lange in der Dunkelheit nach. Kurz vorm Einschlafen steht für meinen sanftmütigen Ehemann fest: Dieser Urlaub wird uns jeden Tag etwas Neues schenken -und morgen kaufen wir uns eine Axt.

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