Donnerstag, 3. Juli 2014

Die Elbe grüßt

Um die Gegend, in der ich nun beinahe schon drei Jahre lebe, besser kennen zu lernen, packe ich von Zeit zu Zeit meine Wanderschuhe aus und laufe der Nase nach. Zuletzt führte sie mich an der Elbe entlang. Hört und seht, was sie mir schenkte....
 
Von kindlichem Übermut Ich laufe dem Meer entgegen, bis ich es sehen kann! und kindlicher Neugier Was mag sich wohl hinter der nächsten Flussbiegung verbergen? gepackt, lief ich immer weiter am Hafen vorbei, bis die lauten Lockrufe der  Fährmänner und das Hupen der Pötte verstummten. Schon bald erreichte ich den Fischmarkt. Hier ehrt die Madonna der Seefahrt alle auf See verschollenen Männer. In Bronze gegossen sitzt eine Frau auf einer riesigen Welle, die sich erbarmungslos unter ihr auftürmt. Alle Macht des Meeres, seine Unberechenbarkeit und seine Gewalt scheint diese eine Welle dem Passanten um die Ohren peitschen zu wollen. Die Frau blickt mit leeren Augen in die Ferne, Richtung Nordsee. Sie ist dazu verdammt, bis in alle Ewigkeit Ausschau zu halten und zu warten, denn ihr Mann kehrt nimmer zurück. Das Meer hat ihn.
 
 
Die Gaben und die Tücken des Meeres, Leben und Tod versammeln sich an diesem einen Ort: Auf der einen Seite bieten Händler die Früchte des Meeres feil, die sie dem überschwänglichen Wasser entlocken konnten. Auf der anderen Seite trauert die versteinerte Madonna um ihre Kinder, die sie an die dunklen Wellen verloren hat. Ein trauriges Bild und auch ein warnendes: Das Meer gibt und das Meer nimmt. Unterschätze es nie, so sonnig glitzernd es an guten Tagen auch scheinen mag.
 
 
Nachdenklich und ehrfürchtig komme ich am Fischereihafen an. Plötzlich wittere ich etwas... Oh, lange schon wurde mein vegetarisches Herz nicht mehr so hart auf die Probe gestellt! Aus lauter kleinen Lokalen heraus duftet es nach gewürztem, gegrillten, gebratenem Fisch...Balsam für die Abgas-taube Nase und für die Seele.
Ich genieße den Weg der duftenden Fische bis sich ein neuer Abschnitt ankündigt: Zu meiner Rechten türmen sich die schicken Bürogebäude der Hamburger Unternehmen auf, die das Glück oder besser das Geld besitzen, sich einen Platz am Elbufer zu leisten. Männer und Frauen in Anzug und Kostüm kommen mir entgegen und laufen durch mich hindurch. Ich gehe den Weg meiner eigenen Vergangenheit und einer Zukunft, die hätte sein können. Meine Haltung verkrampft sich und meine Atmung wird flacher. Dies ist kein Ort für mich.
 
 
Am Dockland mache ich trotzdem kurz Halt und erklimme zum ersten Mal die Stufen seiner "Pyramide". Oben angekommen genieße ich stolz die Aussicht und erahnte, berauscht von der Höhenluft, tatsächlich die Nordsee am Horizont... 
 
 
Endlich gelange ich an den Elbstrand. Ich entledige mich sofort meiner Schuhe und laufe fortan zwischen Sand und Wellen. Tief sauge ich die Luft in meine Lungen und bilde mir ein, sie schmecke nach Salz. Die kreischenden Möwen tun ihr übriges, um das Trugbild aufrecht zu halten. In meinem Rücken liegt die Wirtschaftswelt mit ihren verspiegelten, schwarzen Fenstern und im Wind flatternden Krawatten. Vor mir liegt ein Farbenmeer an Beige, Grün, Blau und Braun. Balsam für die überreizten Augen und für die Seele.
 
 
Wie ein Kind lasse ich mich von Muschel zu Muschel treiben, lege Fantasiegebilde für kommende Strandgäste und sammle Sommerschätze für Wintertage. Eine Möwenfeder weht mir entgegen. Danke, lieber Wind...Du Windsbraut, du...Du pustest mich ohne Rücksicht durch, als wär ich gar nicht da. Nimm alles mit, was heute nicht leicht und fröhlich ist an mir. Ich will Kind sein an diesem Ort, an dem die Sonne zwischen den Wolken hervor lacht und die Wellen sanft und regelmäßig kleine Mäander in den Sand küssen. Meine Füße werden immer wieder von Wasser umspült und immer wieder lächle ich in mich hinein, wenn das kühle Nass sich zurückzieht. Kaum etwas beruhigt mich so sehr wie die Berührung von Wasser...
 

Zur Mittagsstunde lege ich mich auf der Stelle in den Sand. Eine tiefe Müdigkeit übermannt mich kurz nach dem Essen, immer zur selben Zeit. Mein Biorhythmus funktioniert besser als jedes Schweizer Uhrwerk. Ich schließe die Augen, bohre die Zehen in den warmen Untergrund und entspanne. Die Elbe brandet wellengleich ans Ufer. Sonnenstrahlen liebkosen mein Gesicht. Langsam lasse ich Sand durch meine Hände gleiten. Er verweht im Wind und hinterlässt ein rieselndes, zärtliches Geräusch. Die ganze Welt sollte nur diese Art von Geräusch kennen: Leise, sanfte, gutmütige Töne. Balsam für die lärmverschmutzten Ohren und für die Seele.
 
Irgendwann ist es Zeit für mich aufzubrechen. Eine dichte Wolkendecke hat sich vor die Sonne geschoben und fröstelt mich. Vom vielen Laufen tun meine Füße weh. Sie wollen in Zukunft wieder öfter ausgeführt werden, betteln sie. Sie finden, dass ich sie verhätschelt habe und dass dieses Prinzessinnendasein ihnen gar nicht gut tut. Verständlich und sehr einverstanden. Stark fühlen sich meine Füße und Beine heute. Stark, beansprucht und auch ein wenig schmerzend. Aber gut schmerzend. Stolz schmerzend. Balsam für rolltreppenverwöhnte Beine und für die Seele.
Bis zum nächsten Mal, liebes Elbland!

2 Kommentare:

  1. Was für ein wunderbarer Bericht mit so schönen Fotos! Als gebürtige Hamburgerin war ich in letzter Zeit von Sehnsucht nach Landleben geplagt. Mit Deinem "Tag an der Elbe" hast Du mir wieder richtig Lust auf "meine" Stadt gemacht. Danke dafür!
    L.G. Martina

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    1. Hallo Martina, das freut mich! Sehnsucht nach Landleben habe ich auch permanent. Aber solange das noch ein Traum bleibt, versuche ich die Stadt zu lieben. Und wie man sieht, gelingt das ganz gut ;) Wir wohnen hier schon sehr grün, findest du nicht auch?

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